Geschichte der Frühen Neuzeit
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Schuldenmachen. Eine soziale Praxis in Augsburg (1480 bis 1532)

Skizze des abgeschlossenen Promotionsprojekts (english version see below)

“Credit (apprestum/prestitis) was ubiquitous in later medieval society” (Goddard, Richard, Credit and Trade, S. 1 (2016)). Mit dieser Feststellung leitet Richard Goddard seine kürzlich erschienene Studie zu „Credit and Trade in later Medieval England“ ein.
Die Ubiquität von Kreditvergaben und die Alltäglichkeit von (Geld-)Leihe, Pfand- und Borgkauf, Verpfändung und Versetzung von Geld und seiner materiellen Äquivalente tritt uns in der städtischen Schriftlichkeit, wie sie durch Ratsprotokolle, Gerichtsbücher und Missive auf einer obrigkeitlich-normativen Ebene repräsentiert werden, als auch in privaten Schuldbüchern, Schuldbriefen, Korrespondenzen oder chronikalischen Aufzeichnungen, vielfach entgegen.
Diese Überlieferung aus der spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Reichsstadt Augsburg als Ausgangspunkt und „primäre[n] Stellvertreter der Praxis“ (Haasis/Rieske, Historische Praxeologie. Zur Einführung, S. 1 (2015)) zu nehmen, außersprachliche Wirklichkeiten herauszuarbeiten und nach dem Umgang, den Praktiken und der Wahrnehmung von Geld und Schulden zu fragen, bilden den Kern des Promotionsprojektes.

Quellengrundlage und Auswertung

Als zentrale Quellengrundlage der Qualifikationsarbeit fungierten dabei die Protokollbücher der Stadtgerichts Augsburg, deren Inhalte nicht nur ein geordnetes Verfahren um Geldschulden sichtbar machen. Vielmehr war es möglich, einzelne Praktiken des Schuldenmachens herauszufiltern, zu erfahren, wie die Menschen des späten 15. Jahrhunderts Schulden machten, wie sie darüber vor Gericht und außerhalb sprachen und welche Rolle dabei das Gericht einnahm.
Aus praxeologisch-mikrohistorischer Perspektivierung und in einer Kombination von quantitativen und qualitativen Herangehensweisen wurden so die Praktiken des Schuldenmachens herausgearbeitet, die Höhe der Schuldensummen dargelegt und in Schwerpunktsetzungen (Lidlohn, Mieten und Weber-Schulden) verortet.

Zusammenfassung der Ergebnisse

Deutlich zeigt sich dabei,

  1. dass alle soziökonomischen Schichten, besonders auch die sog. Kleinen Leute, als Gläubiger bzw. Schuldner in horizontalen, aber auch vertikalen Schuldenbeziehungen Anteil an einer Schuldenpraxis hatten,
  2. Schulden eine Geldnutzungsform war, um im Kontext einer sich monetarisierenden und ökonomisierenden Metropole Anteil zu haben,
  3. den Zeitgenossen der Umgang und die Aushandlungspraktiken vor Gericht bekannt und bewusst waren und
  4. sich Schuldenmachen auf unterschiedlichsten Ebenen, in unterschiedlichsten Medien und Räumen der Stadt materialisieren konnte.

Die Erforschung der Praxisformation Schuldenmachen lässt so perspektiviert gleichermaßen die sozialen Bezugsfelder wie auch den Handlungsspielraum im ökonomischen Handeln in einer vormodernen Großstadt erkennen. Schuldenmachen war, so zeigt sich letztlich, Produkt des eigenen Handelns, Produkt unterschiedlichster Arrangements, Produkt von Aushandlung, Interaktion und Kommunikation – eine soziale Routine, die Binnenlogiken der vormodernen städtischen Gesellschaft prägte und davon geprägt wurde.